Billie Holiday: 100. Geburtstag der Jazz-Sängerin (2024)

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Für ihre Reise ins Jenseits hatte Billie Holiday ordentlich vorgesorgt. Während sich ihr Vermögen auf der Bank auf ganze 70 Cent belief, fanden die Krankenschwestern des New Yorker Metropolitan Hospital in der Stunde ihres Todes 15 Fünfzig-Dollar-Scheine bei ihr: fein säuberlich zusammengerollt und mit Klebestreifen am Bein der 44-Jährigen befestigt. So heißt es.

Oder hatte die Sängerin das Geld, wie Boulevardreporter und Freund William Dufty behauptete, in ihrer vagin* versteckt? Lag die nach einer Leberzirrhose eingelieferte Billie Holiday im Krankenhaus unter einem Sauerstoffzelt - oder gab es ein solches Zelt nie, wie ihre Freundin Alice Vbrsky betonte?

Nicht nur um die letzten Stunden der Billie Holiday ranken sich zahlreiche Legenden. Ihr gesamtes kurzes Leben ist mythenumwittert wie kaum ein anderes. Aussagen von Weggefährten, Freunden und Feinden widersprechen sich permanent, zudem verdrehte Holiday selbst die Fakten, wovon einige Passagen ihrer Autobiografie "Lady Sings the Blues" zeugen: "Sie hat eine Geschichte so oft erzählt, bis sie allmählich selbst daran glaubte", warf ihr der Pianist Carl Drinkard vor.

Billie Holiday: 100. Geburtstag der Jazz-Sängerin (1)

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Billie Holiday: Diva im Drogenrausch

Foto: Getty Images/ William Gottlieb/DRP.

Fest steht jedoch: Niemand konnte Songs so zum Leuchten bringen wie die Autodidaktin Billie Holiday, die am 7. April vor 100 Jahren geboren wurde. Ihr Timbre und Timing, ihre Phrasierung, vor allem aber ihre erschütternde Emotionalität machten sie zu einer der größten Jazz-Sängerinnen des 20. Jahrhunderts. "Manchmal hat man Angst, dieser Lady zuzuhören", bringt es Beat-Autorin Hettie Jones auf den Punkt. In ihre Stimme legte Holiday all ihre Gefühle, all ihre Wut und Verzweiflung - über ein Leben, das es nicht gut meinte mit dem schwarzen Mädchen aus Philadelphia.

Seidenkleid vom ersten Freier-Lohn

Gleich nach der Geburt wurde Eleanor Harris, wie Billie Holiday ursprünglich hieß, in die Obhut einer Fremden namens Martha Miller aus Baltimore gegeben, wo sie misshandelt und gedemütigt wurde. Ihre Mutter, die 19-jährige Sadie, arbeitete als Dienstmädchen und Serviererin auf Zügen, sie konnte sich ebenso wenig um ihr Kind kümmern wie der 16-jährige Vater Clarence Holiday. Weil Eleanor die Schule schwänzte, kam sie in ein Erziehungsheim, mit elf Jahren wurde sie von einem Nachbarn vergewaltigt.

Die Polizei warf ihr vor, den Mann verführt zu haben, und sperrte sie ein, Eleanor landete erneut in einem Heim. Das Mädchen klaute, was es sich nicht leisten konnte, und stahl sich durch den Hintereingang ins Kino, um den Eintritt zu sparen. Besonders liebte Eleanor die Schauspielerin Billie Dove, nach der sie sich später benannte. In einem Bordell, wo Eleanor putzte, entdeckte sie die Musik von Louis Armstrong und Bessie Smith - ihren großen musikalischen Vorbildern.

Von ihrem ersten Gehalt als Callgirl kaufte sich die Zwölfjährige ein Seidenkleid und Lackschuhe mit Pfennigabsätzen. Weil sich Eleanor weigerte, einen Freier zu bedienen, wurde sie abermals verhaftet und in eine von Ratten verseuchte Besserungsanstalt gesteckt. Soweit zumindest die Darstellung in ihrer Autobiografie. Selbst wenn manche Details dazu gedichtet wurden: Eleanors Kindheit war von Armut, Gewalt und Rassismus geprägt, Grundkonstanten, die sich durch ihr ganzes Leben ziehen sollten.

"Hunger und Liebe"

Ihr musikalisches Debüt begann Eleanor bereits in Baltimore, als Prostituierte, wie sich ein Freier erinnerte. 1929, als sie zu ihrer Mutter in ein Bordell in Harlem zog, begann sie, sich Billie Holiday zu nennen und Marihuana zu rauchen. Sie tingelte durch die Bars - und rührte die Menschen mit ihrem melancholischen Vibrato zu Tränen.

"Man hat mir gesagt, dass niemand das Wort Hunger so singt wie ich. Genauso das Wort Liebe. Vielleicht liegt das daran, dass ich weiß, was diese Worte bedeuten. (...) Alles, was ich bin und was ich vom Leben will, sagen diese beiden Wörter."

So beschrieb Holiday ihr Erfolgsrezept. Und fügte an: "Gib mir ein Lied, bei dem ich etwas fühlen kann, und das Singen wird nie Arbeit für mich sein." Dennoch war die Musik für die Sängerin ein emotionaler Kraftakt, der ihr manchmal so viel abverlangte, dass sie weinend hinter der Bühne zusammenbrach. Besonders ein Lied zog ihr regelmäßig den Boden unter den Füßen weg: "Strange Fruit", eine düstere Anklage gegen die südstaatliche Lynchjustiz.

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"Bäume im Süden tragen eine seltsame Frucht / Blut auf den Blättern und Blut an der Wurzel / Schwarze Körper schwingen in der südlichen Brise / Sonderbare Frucht hängt an den Pappeln." Sofort sagte die Sängerin zu, als der jüdische Englischlehrer Abel Meeropol im April 1939 mit seinem Song zu ihr kam. Denn "Strange Fruit", 1999 von der "Times" zum "Song des Jahrhunderts" gekürt, verkörpert wie kein anderes Lied Holidays Furor über einen Rassismus, dem sie selbst permanent ausgesetzt war.

Mit Creme auf Klischee-Schwarze getrimmt

Regelmäßig weigerten sich die Kellner, sie im Restaurant zu bedienen, auch dann, als sie bereits mit Größen wie Teddy Wilson, Count Basie und Artie Shaw tourte. Man verwehrte ihr die Benutzung der Toilette, häufig musste sie die Hintereingänge der Bars benutzen, in denen sie auftrat. In Detroit indes gab es einen Klubbesitzer, dem Holiday zu blass erschien. Weil sie gar nicht aussehe wie eine Vorzeige-Schwarze, musste sie sich geschwärzte Fettcreme ins Gesicht schmieren. "Du kannst bis zu den Brüsten in weißer Seide stecken, mit Gardenien im Haar, kein Zuckerrohr weit und breit und trotzdem immer noch auf einer Plantage arbeiten", beschrieb die Sängerin die Demütigungen des Alltags.

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Billie Holiday: 100. Geburtstag der Jazz-Sängerin (2)

Billie Holiday

Lady sings the Blues. Autobiografie

Verlag: Edition Nautilus

Seitenzahl: 224

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1937 starb ihr Vater Clarence an den Folgen einer Lungenentzündung, weil kein Krankenhaus in Dallas bereit war, den Schwarzen aufzunehmen. "Strange Fruit", so resümierte Holiday, "drückte all die Dinge aus, die meinen Vater umgebracht hatten." Der antirassistische Song von 1939, den ihre Plattenfirma Columbia Records aus Feigheit nicht aufnehmen wollte, verhalf der Ausnahmesängerin zu Weltruhm - und brachte sie in handfeste Schwierigkeiten.

"Ohne Leben, ohne Volumen"

"Ich habe mir viele Feinde gemacht. War nicht gerade hilfreich, den Song zu singen", sagte Holiday 1947 in einem Interview. Zu ihren gnadenlosesten Gegnern gehörte das Federal Bureau of Narcotics: Am 16. Mai 1947, einen Tag, nachdem sie das umstrittene "Strange Fruit" entgegen der Abmachung im Earle Theater in Philadelphia aufgeführt hatte, verhaftete die Polizei die Heroinabhängige zum ersten Mal wegen Drogenbesitzes.

Von nun an ging es rapide abwärts mit "Lady Day". Anstatt ihren Traum von einem Haus auf dem Land zu verwirklichen, wo sie sich um junge Waisen und streunende Hunde kümmern wollte, verschwendete die Künstlerin ihre Liebe an Männer, die sie schlugen und betrogen. Die kinderlos gebliebene Holiday flüchtete sich derart in Drogen und Alkohol, dass bald auch ihre Stimme leiden sollte.

Zu ihrem letzten öffentlichen Auftritt am 25. Mai 1959 im Phoenix Theater in New York City musste die ausgemergelte und erschreckend gealterte Frau auf die Bühne geführt werden, so schwach war sie. Holiday sang "natürlich schrecklich, ihre Stimme war rau und kratzig, ohne Leben, ohne Volumen, gar nichts", erinnerte sich Komiker Steve Allen, der an jenem Abend ebenfalls dort auftrat.

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Sechs Tage später kollabierte Holiday beim Frühstück, Leber und Herz waren so stark angegriffen, dass sie ins Hospital eingewiesen werden musste. Am 12. Juni standen Beamte des Drogendezernats vor dem Krankenzimmer: Sie verhörten die stark geschwächte Patientin, filzten ihr Zimmer, nahmen ihr Blumen und Telefon, Plattenspieler und Comics weg. Obwohl die Sängerin im Sterben lag, wurde sie offiziell wegen Drogenbesitzes festgenommen und mit Handschellen ans Bett gefesselt. Drei Polizistinnen bewachten rund um die Uhr das Zimmer von Häftling Nummer 1669.

Am 17. Juli 1959, einem Freitag, nachts um 3.10 Uhr, hörte ihr Herz auf zu schlagen. So entrann Billie Holiday den Klauen der irdischen Justiz. "Alles, was Drogen für dich tun können, ist, dich umzubringen", hatte die Ausnahmekünstlerin einmal im Interview prophezeit - "und zwar auf die langsame und grausame Art."

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Author: Ms. Lucile Johns

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